Ruhe und Gelassenheit bestimmen das Leben auf La Gomera
Die heutigen Bewohner Gomeras sind überwiegend offen und freundlich. Geduldig und hilfsbereit bemühen sie sich um ihre Gäste. Sie sind eher zurückhaltend als aufdringlich.
Eine der auffälligsten Eigenschaften der Canarios ist ihre Gelassenheit in jeder Lebenslage. Sie haben alle Ruhe dieser Welt und lassen sich auch nicht von der Hektik der sich im An- oder Abreisestress befindenden Urlaubsgäste anstecken: „Keine Sorge, alles wird gut, das regeln wir ganz ruhig” – Tranquilo, no se preocupe. Und so regeln sie in Ruhe, was geregelt werden muss. Was jedoch nicht so wichtig ist, kann dann etwas länger dauern.
Eine spanische Gewohnheit trägt zur Stärkung der Nerven bei – die Siesta. Wo immer es möglich ist, wird täglich ab 13:00, spätestens ab 14:00 Uhr die Tür geschlossen und bis etwa 17:00 Uhr Siesta gehalten.
Die Guanchen
Die Guanchen sind die Ureinwohner der Kanaren. In den Berichten der spanischen Eroberer werden die Guanchen als blond, blauäugig und hellhäutig beschrieben. Wissenschaftliche Untersuchungen, z.B. an mumifizierten Leichen, zeigen, dass es verschiedene Ethnien auf den Kanarischen Inseln gab. Dies spricht für eine Besiedlung der Inseln aus verschiedenen Herkunftsregionen. Die erste Einwanderungswelle gab es wohl um etwa 3.000 v. Chr., als Wüstenbewohner aus der Sahara mit Binsenbooten auf die Inseln gelangten. Ausgrabungen belegen, dass außerdem Menschen aus Südwesteuropa einwanderten. Um ca. 1100 v. Chr. erreichten die Phönizier vom östlichen Mittelmeer aus die Inseln. Eine weitere Einwanderungswelle aus Nordafrika gab es von ca. 500-200 v. Chr. Auch die Römer gelangten vor ca. 2.000 Jahren wohl auf die Kanaren und bezeichneten sie als „fortunae insulae“, die Inseln der Glückseligen. Man nimmt an, dass auch die Wikinger im frühen Mittelalter (800-1.000 n. Chr.) bis hierher kamen.
Die Guanchen entwickelten eine eigene Sprache – Guanche – und eine eigene Kultur. Zur Verständigung über weite Distanzen entstand außerdem die Pfeifsprache El Silbo, die heute noch auf La Gomera zu hören ist. Sie betrieben Viehzucht und Ackerbau, lebten ansonsten nach steinzeitlicher Lebensweise. Metallverarbeitung kannten Sie nicht. Sie stellten Gefäße aus Ton und Holz her. Sie wohnten in Höhlen oder strohgedeckten Steinhütten. Die Guanchen lebten in Stämmen zusammen und wurden von Häuptlingen oder Königen regiert.
Im Jahr 1402 erfolgte die Eroberung einiger Kanarischer Inseln durch den Normannen Jean de Bethencourt im Auftrag der kastilischen Krone. Unterworfen wurden zunächst Lanzarote, Fuerteventura und El Hierro. La Gomera konnte vorerst nicht bezwungen werden. Nach Bethencourts Tod übernahmen ab Mitte des 15. Jh. zwei Familien, de la Casa und Peraza, die Macht auf den Inseln. Sie beuteten die Guanchen aus und versklavten sie. Auf Gomera herrschte ab 1478 der despotische Feudalherr Hérnan Peraza, der sich unter den Guanchen keine Freunde machte und schließlich von ihnen getötet wurde.
Guanchenkönig Hupalupa
Hupalupa ist ein sagenumwobener Guanchenkönig, der sich den spanischen Conquistadores widersetzte. Hupalupa residierte im fruchtbaren Tal Valle Gran Rey im Westen von Gomera, das noch heute als Tal des großen Königs an ihn erinnert. Viele Legenden ranken sich um den Guanchenkönig. Von seiner schönen Königstochter wird erzählt, dass sie durch ihre hellseherischen Fähigkeiten gemeinsam mit ihrem Vater Unheil von Gomeras Volk abwenden konnte. Sein Widersacher war der spanische Anführer Hérnan Peraza, den er erbittert bekämpfte. 1487 plante er, Peraza zu töten. Sein Vorhaben wurde aber vereitelt, da er von keinem geringeren als seinem eigenen Sohn verraten wurde. Daraufhin soll Hupalupa den Königssohn vor den Augen seines Volkes erstochen haben.
Ein Jahr später gelang es dem Guanchenkrieger Hautacuperche, der als Nachfolger des großen Königs Hupalupa vorgesehen war, Peraza auf dem Weg zu seiner Geliebten, der Guanchin Iballa, zu überwältigen und zu töten. Bei den folgenden Unruhen kam Hautacuperche allerdings ums Leben.
Im Valle Gran Rey steht zur Erinnerung an den Aufstand gegen die Besetzer am Strand eine große Bronzestatue von Hautacuperche.
Die Legende von Gara und Jonay
Vor der spanischen Eroberung lebte der Legende nach auf La Gomera die schöne Prinzessin Gara. Sie verliebte sich in den mittellosen Bauernsohn Jonay, der aus Teneriffa stammte. Er erwiderte ihre Liebe und fuhr jeden Tag auf einem Floß zur Nachbarinsel, um seine Geliebte zu treffen. Doch die Verbindung schien nicht von Glück gesegnet: Ein Priester sagte großes Unheil für die beiden voraus. Als die beiden heiraten wollten, schien sich die Prophezeiung zu erfüllen: Ein mächtiges Erdbeben erschütterte Teneriffa. Der Teide spie Lava, das Meer um La Gomera färbte sich blutrot, die Insel begann zu glühen. Die Familie der Prinzessin wollte die Heirat der beiden verhindern und brachte Jonay nach Teneriffa zurück.
Seine Liebe zu Gara war jedoch so groß, dass er sich wenige Wochen später wieder auf den Weg nach La Gomera machte. Zusammen flohen die beiden in das Hochland der Insel und versteckten sich in den dichten Wäldern.
Als beide keine Hoffnung für ihre Liebe und ein gemeinsames Leben mehr hatten, nahmen sie eine an beiden Enden gespitzte Lanze aus Lorbeerholz und stießen sie sich durch die Brust. In inniger Umarmung ging das Liebespaar in den Tod.
Seit jener Zeit, so sagen die Gomeros, trägt der wunderschöne Nebelwald und heutige Nationalpark auf La Gomera den Namen der beiden Liebenden: Garajonay.
El Silbo
Mit der Pfeifsprache El Silbo haben die Ureinwohner La Gomeras eine weltweit einzigartige Sprache entwickelt, mit der sie sich über weite Distanzen verständigen konnten. El Silbo besteht aus Pfiffen unterschiedlicher Tonhöhe und -länge und setzt sich zusammen aus zwei Vokalen und vier Konsonanten. Zeige- und Mittelfinger werden zur Tonerzeugung in den Mund gelegt und mit Hilfe der Zunge werden so Pfeiftöne gebildet. Die freie Hand dient als Schalltrichter. Es ist die lauteste Art der Kommunikation ohne weitere Hilfsmittel. So tauschten die Bewohner weit entfernter Dörfer über eine Distanz von bis zu 10 km Botschaften miteinander aus. Sie schützten sich dadurch zum Beispiel vor Angriffen der spanischen Eroberer oder vor Piratenüberfällen. Von der UNESCO wurde El Silbo im Jahr 2009 zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Ein Teil der gomerischen Inselbevölkerung beherrscht die Sprache bis heute. Diejenigen, die sie benutzen, nennt man Silbadores. In den Schulen auf La Gomera gehört El Silbo seit einiger Zeit zu den festen Unterrichtsinhalten. Ein Denkmal am Aussichtpunkt Mirador de Igualero in Gomeras Parque Nacional de Garajonay wurde im Jahr 2005 dem Silbo Gomero gewidmet.
Wer die Pfeifsprache heute live erleben möchte, besucht am besten eine der vielen Fiestas auf La Gomera, die häufig Vorführungen dieser gelebten Tradition beinhalten. Oder Sie spitzen beim Wandern über die wunderschöne Kanareninsel die Ohren, um mit etwas Glück einige gepfiffene El-Silbo-Botschaften zu hören.